Mit Rad und Bahn an Elbekanal und Küste
Einige Hundert Kilometer in Bewegung machen richtig Spaß, auch wenn Turbulenzen auf der Schiene die Laune trüben.
Von Jörg Brokmann
Dokkum/Mölln. Zwei Wochenenden auf dem Sattel bei herrlichem Sommerwetter, bisweilen anstrengendem Gegenwind und wenigen Hügeln. Meist in launiger Stimmung in wunderschöner Landschaft mit Familie und guten Freunden, einige Turbulenzen eingeschlossen – Radler*innenherz, was willst Du mehr?
Ed Sheeran gibt sich die Ehre
Vielleicht noch ein Konzert auf Schalke mit Ed Sheeran vor dem Hollandtrip gefällig, weil es sozusagen auf dem Weg liegt. Dürfen wir uns nicht entgehen lassen, nehmen wir noch mit, denken wir.
Die holländische Empfangsdame beweist wahre Gastfreundschaft. Mitten in der Nacht um halb zwei nach insgesamt 700 Kilometern drückt uns Swantje tapfer den Zimmerschlüssel in die Hand.
Sie hat auf uns gewartet, nachdem wir vor unserem Kurzurlaub in den Niederlanden den perfekten englischen Wunderknaben allein mit seiner Gitarre vor 65.000 Fans erleben durften. Dort, in der Heimat der Knappen, dem frischen Aufsteiger in die Fußball-Bundesliga, und dem Biathlon-Event kurz vor dem Jahreswechsel.
Der ermordete Bonifatius
Die kurze Nacht hält uns selbstverständlich nicht davon ab, gleich am nächsten Morgen auf die Räder zu steigen. Unsere jährliche Tour führt uns diesen Sommer nach Dokkum, die Stadt, in der der heilige Bonifatius vor gut 1250 Jahren ermordet wurde. Nicht zuletzt dank seines Standbildes, der Kapelle, der Kirche und der Heilquelle ist sein Geist nach wie vor in der ältesten Stadt von Frysland zu spüren.
Uns, Manja, Frank, Kerstin und mich, treibt es aufs platte Land. Wir genießen zunächst die nähere Umgebung, suchen uns an der friesischen Küste nach 30 Kilometern ein entspanntes Plätzchen in einer Lounge.
Bitterballen mit Füllung
Ein kühles Getränk und die ersten Bitterballen, das sind panierte Kroketten gefüllt mit Fleisch oder Gemüse. Köstlich diese Spezialität, die wir bisher nicht kannten. Unsere erste verdiente Belohnung.
Radwege ohne Gegenverkehr
Besonders gefallen uns die glatten Radwege durch reizvolle Wiesen und Wälder entlang am Wasser. Mal setzen wir mit der Fähre gegen geringe Gebühr über, mal heißt es kurz zu verweilen, um ein Segelboot oder eine Yacht passieren zu lassen. Diese Brückenkonstruktionen mit Gegengewicht gibt es in verschiedenen Größen. Praktisch.
Herrliches Ameland
Ein heftiger Gegenwind schlägt uns beim Ansteuern der Insel Ameland entgegen. Dort treffen wir erstmals auf Landsleute. Dabei fühlen wir uns angenehm wohl nur unter Holländern. Beispielsweise überrascht uns Kellner Sake im Hotel Posthoorn mit kleiner niedlicher Fliege als exponierter Kenner des Grand-Prix-d’Eurovisions – heute ESC. Erst sehnen wir gemeinsam Nicoles „Ein bisschen Frieden“ zurück, um wenig später von Sake Katja Eb-steins „Theater“ und „Wunder gibt es immer wieder“ vorgesungen zu bekommen. Da herrscht Einigkeit zwischen Deutschen und Holländern im friesischen Dokkum, auf ein kleines Wunder in Osteuropa zu hoffen.
Mit Bahn und Rad durch die Heide
Dem Ausflug zu unseren so sympathischen westlichen Nachbarn folgt mit der Familie am jüngsten Wochenende, ein Weihnachtsgeschenk, eine Tour mit Bahn und Rad in die Nord-Ost-Heide. Am Bahnhof Meine quetschen wir uns in den Erixx. Als Sohn eines Lokführers versuche ich die Skepsis meiner erwachsenen Kinder zu zerstreuen, dass uns in Zeiten des Neun-Euro-Tickets weitere Hindernisse in Form einer Horde von Zugreisenden die beiden Erholungstage vergällen könnten. Ich nehme es vorweg: Sie behalten Recht. Zumindest ein wenig.
Statt 80 sind es 150 Kilometer
Dass aus den geplanten 80 Kilometern einige mehr werden, stört mich persönlich nicht erheblich, wenn ich auch ein wenig Mitleid mit meiner Frau und meiner Tochter habe, deren Radgewohnheiten ansonsten eher im unteren zweistelligen Bereich angesiedelt sind.
Andererseits ist es mein Geschenk. Als wir am Samstagabend schließlich nach teils schwierigen, teils lustigen sechs Stunden in Mölln in unseren Zimmern mit Seeblick landen, herrscht einvernehmliche Freude ob des schönen Hotels und der Aussicht auf ein leckeres Abendessen im örtlichen Amadeus. Am nächsten Morgen brauen sich zunächst dunkle Wolken über dem See zusammen. Sie verziehen sich schnell. Das Wetter selbst hält sich perfekt. Ein gutes Omen? Wir sind optimistisch.
Entdeckt: der Elbe-Lübeck-Kanal
Genau nach Plan meiner Tochter rollen wir vergnügt am von viel Grün gesäumten Elbe-Lübeck-Kanal entlang. Der gelbe Schotter stellt uns vor keine Herausforderungen, enthält gar lustige Überraschungen. Wir plaudern über Gott und die Welt, diskutieren über politische Verhältnisse, ja, tauschen Familienangelegenheiten aus, die endlich mal gesagt werden müssen – ganz in der Tradition unserer kritisch-offenen Gesprächskultur.
Erholung in Reinkultur – für mich
Die familiäre Harmonie zeigt erste Risse, als die deutsche Bahn vor Lüneburg an ihre Grenzen stößt: Fünf Radlern samt Fortbewegungsmitteln wird der Zugang verwehrt, verständlich in Anbetracht der Tatsache, dass sich einzelne Fahrgäste vor Schließung der Türen gerade so in die Waggons zwängen. Wir hängen also noch einen halben Hunderter dran, fressen ächzend Meter um Meter, lassen die Schiene notgedrungen links liegen und uns selbst in Kirchweyhe vor Uelzen mit dem Auto abholen. Innerhalb von zehn Tagen eine kleine holländisch-heidjer Achterbahnfahrt der Gefühle — ganz nach meinem Geschmack. So relaxed sehen das nicht alle Beteiligten. Schließlich hatten meine Kinder eine intime Überraschungsparty am Abend für mich, das Geburtstagkind, organisiert. Die Gäste mussten nur zwei Stunden verharren.