Bewegung im Schnee inspiriert, weckt den Geist

Ski-Langlauf: In diesem Winter ein traumhaftes Erlebnis nicht nur im Harz, auch im Braunschweiger Ölper Holz oder in Wolfsburg.

von Jörg Brokmann

Sonnenberg. Knirschen. Vogelgezwitscher. Prickeln auf der Haut. Weiß gepuderte Äste. Schnee auf der Zunge. Zweige neigen sich ehrfurchtsvoll. Die Leichtigkeit des Seins. Verlegersohn und Enfant terrible Harry Rowohlt formulierte einst: Ich bewege mich lieber selbst. Im Harz?Inwieweit der bärtige Harry die gleiche Bewegung meint wie ein Langläufer auf den schönen Loipen des Harzes rund um Sonnenberg, ist nicht verbrieft. Mit ziemlicher Sicherheit ist aber davon auszugehen, dass er mit seiner ureigenen Bewegung so ganz weg vom Treiben seines berühmten und erfolgreichen Verlegervaters Ernst genau seinen Neigungen entsprechend voranschritt.

Gedanken schweifen ab

Bewegung erzeugt Bewegung im Kopf. Hier im verschneiten Mittelgebirge schweifen die Gedanken häufig ab vom Weg, vielmehr aus der Spur. Bisweilen in ganz andere Gefilde…Auf dem griffigen Untergrund zu gleiten, eins mit diesen zwei schmalen Brettern unter den Füßen, lässt die Fantasie blühen. Mit jedem Meter, den sich in diesem Fall die Schuppen der Skier in das feuchte Element beißen, erhöht sich die Lust auf mehr Bewegung, leichte Unbillen inbegriffen.

Kristalle tauen auf der Haut. Bereits nach kurzer Zeit scheint der Alltag Welten entfernt. Dicke Flocken fallen aufs Gesicht, die Kristalle tauen sanft auf der Haut, Wasser rinnt am Kinn hinunter, inspiriert, weckt Emotionen, lässt nicht frösteln, führt im Gegenteil zu Wohlempfinden, schönen Erinnerungen und gleichzeitig Freude auf mehr. Der mit Mütze warm eingepackte Kopf gerät ins Schwärmen, der Geist wabert, verlässt ausgetretene Pfade. Stressfaktor null. Ein gedanklicher Genuss.

Der geneigte Stilist genießt

Genau eine Woche später empfängt uns ein herrlicher Tag am Sonnenberg mit einem Lächeln, wie es der glühende Stern vom blauen Himmel nur in den glitzernden Schnee zaubern kann. Das Geläuf ist glatt, die Harzer Oberaufseher haben entschieden, keine Loipe zu fräsen, um die Langläufer abzuhalten.

Was am frühen Morgen noch gelingt, den Wald mit allen Sinnen allein zu genießen, scheitert gegen Mittag, als die Bundesstraße über weite Strecken zugeparkt ist. Die Skater ackern meist mit hohem Tempo über die glatt gewalzten Pisten. Der geneigte Stilist erfreut sich im klassischen Stil an der winterlichen Berglandschaft in schwungvollem Rhythmus. Fühlt, glaubt er zumindest.

Das traumhafte Wetter verdrängt die realistische Sicht auf die eigenen Fähigkeiten. Egal. Nicht so bei Familie Biebel. Gemeinsam mit ihren Töchtern genießen sie einvernehmlich die Achtermann-Route. Sie brauchen nicht mehr und nicht weniger zum Glücklichsein.

Unabhängig von Zeit und Strecke

Wer will mich davon abhalten, von mir selbst in den höchsten Tönen zu schwärmen? Mein Freund Conny vielleicht, Wasa-Langläufer und Radrennfahrer, 20 Jahre älter als ich, würde meine Leistung im Schnee loben, weil er ein freundlicher Mensch ist, an seine Ansprüche reicht sie niemals heran. Muss nicht sein. Allein die (gedachte) graziöse Bewegung auf dem Höhenwaldweg befriedigt, unabhängig von Zeit und Strecke.

Sehnsucht nach heißer Dusche

Ortswechsel: Zwischen Harx- und Lagesbüttel weht ein eisiger, böiger Wind an diesem Sonntagnachmittag, der Himmel ist schneewolkenverhangen, die Sicht ist miserabel, harter weißer Niederschlag peitscht ins Gesicht, kein Mensch auf der Landstraße – nur der einsame, übermütige Langläufer.

Bei jedem Schub nach vorn mit den dünnen Latten rutscht das Bein zur Seite, das kostet Kraft, bereitet nur bedingt Spaß. In diesem Moment. Nach fünf Kilometern durch die steife Brise steigt die Sehnsucht auf die Dusche. Durchhalten heißt es. Geschafft.

Sportlich nicht erwähnenswert

Erst als das heiße Wasser den unterkühlten Körper wieder auf Normaltemperatur erwärmt, kommt Freude auf über den anstrengenden Ritt. Sicher, keine sportlich erwähnenswerte Leistung. Nicht wichtig. Diese Gelegenheit wird sich so schnell nicht wieder ergeben, die kurze verwegene Tour in den Papenteich bleibt haften im Gedächtnis, hinterlässt ein wenig Stolz.

Eine Woche später wird unsere Region fast zum Mekka der Skifans. In Lamme tritt die Chefärztin ihre eigene Spur, im Landkreis Gifhorn drehen Enthusiasten ihre Runden, Wolfsburg lässt das Braunlager Loipenfahrzeug Spuren in die Ebenen des Allertals ziehen. Die Lust auf Doppelstockschub und elegantes Gleiten macht auch vor den Hobbysportlern im Ölper Holz nicht halt.

Harrys Motto

Der 2,5 Kilometer-Kurs ist in Sonnenschein getaucht, ideale Bedingungen, zwei Loipen nebeneinander, Frank vom Schwarzen Berg macht die Pace. Ein herrliches Gefühl, so eins mit der Bewegung auf dem weißen Element. Der Tag schreit nach Wiederholung.

24 Stunden später. Angefixt. In Waggums Wäldern, im Braunschweiger Prinzenpark oder in Riddagshausen knüpft Kollege Andreas an aktive Skilauf-Zeiten von vor einigen Jahrzehnten an. Ein alter Traum wird wahr. Getreu dem Motto von Harry Rowohlt. Leicht abgewandelt. Nur sich selbst bewegen bringt ins Schwitzen. Körperlich und geistig! Na denn!

 

 

aus der Braunschweiger Zeitung vom 01. März 2021

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