Wo die Füchsin durch den Schnee schleicht
Ganzjahres-Camper passen in keine Schublade. Sie bewahren sich ihre Individualität.
Von Jörg Brokmann
Braunschweig/Harz. Beides sind totale Enthusiasten. Sie leben ihre Art der Freizeitgestaltung mit jeder Pore ihres Körpers, aus jedem ihrer Worte quillt die Leidenschaft, mit der sie ihr Hobby so nah an der Natur betreiben. Sommer wie Winter, mit dem Bike und per pedes beim Durchforsten der grünen Wälder, mit dem Board beim Schwingen über weiße Hänge. Der Mann mit dem grauen Schnauzbart lässt seinen Blick über die Landschaft streifen, über die Nadelbäume, hier am Fuße des Bocksberg, vor seiner blauen Holzhütte, die eigentlich der Vorbau seines Wohnwagens auf dem Campingplatz Kreuzeck ist.
Kaffee schlürfen
Wir schlürfen einen frisch gebrühten Kaffee, plaudern über gemeinsame Bekannte, Freunde, bevor wir über sein E-Mountain-Bike fachsimpeln, das ihn auch im siebten Jahrzehnt seines Lebens fordert, mit dem er fast jede Steigung im Harz bezwingt. „Ich empfinde es als großes Glück, hier Zeit verbringen zu dürfen, mit den Launen der Natur leben zu dürfen“, erzählt er.
Frische Pfifferlinge im Korb
In einem Korb am Eingang der gemütlich ausgestatteten, selbst umgebauten Hütte strahlen uns köstliche Pfifferlinge entgegen – heute früh an den drei Stellen entdeckt, die nur eingefleischte Pilzsammler kennen. Bernd gehört dazu. Wie nur wenige andere Ganzjahres-Camper am Kreuzeck. Er genießt die Mußestunden auf diesem Platz 200 Meter vom Waldsee entfernt, mit Gleichgesinnten, auch allein. Man kennt und schätzt sich selbstverständlich gegenseitig, aber einen großen Stellenwert besitzt für den Braunschweiger besonders die Ruhe und Unabhängigkeit, mit der der Ingenieur hier in den Tag hineinlebt – eine Stunde von seinem Zuhause entfernt.
Schneeschippen im Winter
„Dieses Jahr hat das im Winter viel Arbeit bedeutet. Wir hatten Berge von Schnee, schufteten, um unsere Grundstücke freizuräumen.“ Egal. Das gehöre dazu. So wie der Gang an den schneebedeckten Bocksberg. Bernd Gaida ist Biker, Surfer, Wanderer und Snowboarder. Auf 730 Meter Höhe erstreckt sich dieser Bocksberg, dessen Bewältigung für den erfahrenen Schneebrettfahrer eine relativ leichte Übung darstellt. Zu Fuß auf den Bocksberg „In Corona-Zeiten erklimmen wir zu Fuß die Spitze. Bei jedem Schritt träume ich immer schon von den Kurven durch den butterweichen Schnee – eine Belohnung, die schöner nicht sein könnte und alle Anstrengung wert ist.“
Zwar gebe es, sagt Gaida, im Harz jedes Jahr nur wenige Wochen mit viel Schnee, aber allein deshalb lohne es sich, hier zu campen. Den Glühwein oder den Tee im mollig warmen Wohnwagen möchte er niemals missen. Besonders warm ums Herz wird ihm abseits vom Sportlichen, sobald die Platzfüchsin vorbeischaut – auf der Suche nach einem leckeren Happen zu fressen, komme sie direkt an die Hütte, und werde natürlich ordentlich versorgt.
Ortswechsel in die Alpen
Ortswechsel ins Skigebiet der Alpen. Der Wahl-Braunschweiger Joachim Mund frönt seinen Hobbys in wahrlich ausgeprägter Form. Der passionierte Boarder, in dieser Hinsicht ähnlich gestrickt wie Bernd Gaida, stellt sich immer wieder vor neue Herausforderungen – das ganze Jahr über. Campen habe er mit der Muttermilch aufgesogen. Vor mehr als einem halben Jahrhundert hatten seine Eltern mit ihren beiden Sprösslingen schon das „kleine bisschen Abenteuer“ gesucht. „Und das steckt mir bis heute im Blut“, sagt er.
Abgeflexter Leichenwagen
Diese Freiheitsliebe, tun und lassen zu können, war er will, bietet den Reiz für den Elektro-Ingenieur. Als junger Mann hatte er sich einen Renault 4 Kastenwagen in ein Campmobil umgebaut und war damit sieben Wochen durch Südeuropa und Marokko getourt; ein paar Jahre später flexte er von einem ehemaligen Leichenwagen das Dach ab. Der Grund: Der Opel Rekord Kombi ermöglichte genügend Platz für eine Campingkabine obendrauf. Mittlerweile gönnt er sich etwas mehr Luxus mit einem top ausgestatteten Wohnmobil. Die Destinationen dürfen hingegen weiterhin ausgefallen sein. Im Sommer lockt der Standort mit Rundumübersicht übers Meer am Rand einer Klippe – Schwindelfreiheit inbegriffen.
Weihnachten in Hochfügen
Zu Weihnachten findet er sein großes Glück in Hochfügen im Zillertal. Eine kleine Gruppe hartgesottener Ski- und Snowboardfahrer trifft sich auf einem Parkplatz direkt neben dem Lift. Wenn der Schneetag vollendet ist, gibt es bisweilen Heißgetränke an der Schneebar, die ein Vater mit seinen Kindern gebaut hat, garniert mit einer Bratwurst auf die Faust. „Wir sind uns direkt am Berg so nah“, beschreibt der kontaktfreudige Joachim seine Motivation, bei mitunter bitterkalten Abenden von der rasantesten und geilsten Abfahrt zu schwärmen oder vom höchsten Jump zu „prahlen“. „Dieser besondere Luxus ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen“, nimmt er vereinzelte Unbillen gern in Kauf – Wohnmobile freizuschaufeln inbegriffen.
Einheimische gesättigt
Und nun im Mai 2021 am Stubaier – und Hintertuxer Gletscher. Allein. „Ich hatte einfach Lust auf Schnee, und bin losgefahren, um der Pandemie zu entfliehen sozusagen. Vorweg: Joachim Mund ist reichlich belohnt worden: „Einfach unglaublich, die Einheimischen hatten keinen Bock mehr nach 70 Schneetagen. Und wir schwangen mit ein paar Leuten fast die ganze Zeit über unpräparierte Pisten. Ein Traum.“ Herrlich, wenn dieser in Erfüllung gegangen ist.
Nur ein paar 11-Kilo-Gasflaschen
Joachim Mund und Bernd Gaida verbindet die Liebe zu den rauen Elementen und zur Natur – mit allen Unwägbarkeiten, die manchmal unberechenbare Gewalten so mit sich bringen. Sicher, Wohnwagen und Camper sind luxuriöser geworden, mit jeweils ein paar 11-Kilogramm-Gasflaschen ermöglichen sich die Naturliebhaber einen warmen Wohnwagen oder ein warmes Wohnmobil, in der beispielsweise in der Duschkabine die nassen Skiklamotten bis zum nächsten Morgen trocknen können.
Quer durch Europa
Der ehemalige TÜV-Ingenieur Gaida fühlt sich pudelwohl auf dem von Betreiber Lars Ruhm grundsanierten Ganzjahres-Campingplatz bei Hahnenklee, aber als typischen Dauercamper würde er sich nicht bezeichnen. Wann immer seine berufstätige Partnerin Susanna Zeit findet, reisen sie mit ihrem mobilen Wohnwagen quer durch Europa. Der beruflich als IT-Experte ziemlich eingespannte Mund verwahrt sich gar gegen den Begriff Dauercamper: „Das klingt so nach Frühbucher und Schrebergarten.“ Die Charakterisierung passe nicht zu ihm, diesem unruhigen Geist. Und zudem würde seine Freundin Bini nie mit so einem Mann zusammen sein wollen. Gleichwohl möchten beide ihren Standplatz des Wohnmobils auf dem Gelände des Familiensportvereins in Kralenriede nicht missen. Mund: „Wenn wir nicht irgendwo unterwegs sind, einfach entspannen wollen, setzen wir uns auf die Räder, fahren die 1,5 Kilometer von unserem Haus zum Camper. Und fühlen uns wie im Kurzurlaub“, schwärmt er vor.
Die Flexibilität, sich spontan auch anders entscheiden zu können, empfindet das Paar als große Gunst. Keine Schublade passt Der Neu-Kralenrieder Mund und der Wahlharzer Gaida lehnen es ab, in eine Schublade gepresst zu werden. Das wäre ihnen ein Gräuel. Mit ihrer ausgeprägten Individualität fallen sie ein wenig aus dem Rahmen. „Unter Campern gibt es die schrulligsten Typen“, bestätigt Kreuzeck-Betreiber Lars Ruhm aus Hahnenklee. Stimmt. Interessante Typen eben!